Nirgendwo – Streaming

Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag

Wir freuen uns sehr, den Debütlangfilm von Katharina Lüdin, „Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag“, vorstellen zu können. Ab Montag, den 14. Juli wird dieser Film für einen Monat hier, auf Nirgendwo, verfügbar sein.

 

 

Ein Kind spannt Fäden im Garten zu einem Netz, das über den Film hinweg immer dichter wird, während Beziehungen dabei sind jeden Moment auseinanderzufallen. Rose und Lion, Merit und Eva, zwei Paare, die physisch zusammen sind, aber doch schon fern. Ihre Berührungen sind keine Verbindungen, sie wollen festhalten, was schon fort muss, was schon fort ist. Hier sind sie Vorboten eines sanften Abschieds, wo vielleicht noch keiner ist, dort sind sie gewaltvolle Gesten, die sich wehren gegen das, wovon sich zu lösen die Kraft fehlt. 

Sie sind Nachklänge im Zuvor, hilflos und halbherzig. Auf jede Zuwendung antwortet eine Abwendung. Die Präsenz der Figuren nur noch zarte Spiegelungen und verschlossene Rücken. Physische Hüllen, die nicht mehr bewohnt sind, starre Muster vor ihrer Korrosion. Dabei wird gerade durch die Statik der Situationen das Atmen sichtbar. Die Zerrüttung ist nicht zynisch, sondern mit einer zurückhaltenden Trauer unterlegt, die der stillen Epik der Liebe noch nicht abgeschworen hat. 

Der ernüchternde Blick auf eine entfremdete Partnerschaft ist gleichzeitig von einer anmutigen Unmittelbarkeit und Zartheit, die in ihrer Stilisierung ein neues Maß zwischen Strenge und Leidenschaft, Innerlichkeit und Tragik, dezenter Psychologie und Auslassung, Gesellschaftskritik und Offenheit findet. Hierbei gelingt es Katharina Lüdin, sowohl in ihrer konzentriert-reduzierten Formsprache, als auch in der Differenziertheit des Psychologisch-Analytischen gleichermaßen präzise zu sein. 

Dabei interessiert sie sich nicht zuletzt für die Haptik und das Organische des analogen Filmmaterials, das für sie durch die Individualität der Mikrobeschaffenheit jedes einzelnen Korns in Verwandtschaft mit jener der menschlichen Haut steht. Hierdurch bekommt ihre Arbeit eine weitere sinnliche Schicht. Ebenso betont Lüdin das auflösende Potenzial der Körnung – hier 16 mm, das dem situativen Gefangensein und der Starre der Figuren formal entgegenwirkt. Zudem könne das Analoge, durch seine mechanische Komponente, als Ausstellung des Konstruiertseins dienen, was Schutz und Distanz für die Zuschauenden bedeute. – Nele S. Kaiser.

 


 

Katharina Lüdin studierte ab 2015 narrativen Film an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei Angela Schanelec und ab 2018 an der Universität der Künste Berlin bei Thomas Arslan, wo sie ihr Studium 2024 abschloss.

Ihr Debütfilm Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag wurde 2023 am 76. Locarno Film Festival im Wettbewerb Cineasti del Presente aufgeführt, lief auf nationalen und internationalen Festivals – unter anderem 2024 im Museum of Modern Art sowie im Lincoln Center in der 53. Reihe New Directors/New Films – und gewann zahlreiche Preise in verschiedenen Kategorien.

Katharina Lüdin arbeitet vornehmlich mit analogem Film. Sie ist Gründungsmitglied und ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Hamburger Analogfilmwerke e. V.

Seit 2024 ist sie auch als Lehrbeauftragte für Film und Medien tätig. Sie ist Mitglied im Bundesverband Regie und der Queer Media Society.

Katharina Lüdin lebt in Berlin.