Milena Czernovsky, Lilith Kraxner

Jeden Tag öffnet sich der Himmel, das Sonnenlicht geht durch die Vorhänge, es illuminiert wenig, dennoch genug, um die Umrisse der Welt zu erkennen. Sehen ist Lichtverarbeitung. Die neuronale Synchronisation, der Prozess der Kommunikation zwischen verschiedenen Teilen des Gehirns, hat sowohl lineare als auch nichtlineare Komponenten. Eingaben, also das, was wir sehen, werden nicht sofort weitergegeben, es gibt eine Zeitverzögerung1 Petridis, Ioannis. „Nonlinearity in the Light Processing of the Human Visual System.“ (2017).. Aus dem Komfort eines Bettes, an dem sich täglich der Körper dem Griff des Abends übergibt, lassen sich jene Prozesse nicht leicht wahrnehmen. Die menschliche Rechenleistung macht Überstunden dafür. Ein ExaFLOP Rechnung pro Sekunde2Vora, H., Kathiria, P., Agrawal, S., & Patel, U. (2022). Neuromorphic computing: review of architecture, issues, applications and research opportunities. Recent Innovations in Computing: Proceedings of ICRIC 2021, Volume 2, 371-383. und die Verzögerung ist unmerklich. Der Körper wandert aus dem Ort der Ruhe heraus, das Licht erhellt den Weg nach draußen, und in anderen Räumen findet sich seine intime Entfaltung am Tag, der es kaum umfassen kann. Kameras steuern und modulieren das Licht mit Hilfe von Blende, Verschlusszeit und ISO-Wert. Um im Film oder in Speicherkarten das zu speichern, was Menschen in deren Gedächtnissen mit Genauigkeit – bei POV-Aufnahmen fallen andere Begriffe weg, doch erinnert man sich an ein Ereignis, erlebt man seine eigene Vorstellungskraft in vollem Umfang – “automatisch” registrieren, benötigen Kameras sorgfältiges Konfigurieren, sei es im Fall des Fotografierens oder der Überwachungskameras. Es gibt jedoch mehrere Ebenen der Entfernung. Und es spielt eine Rolle, ob die Kamera von einem Menschen mit einer Idee bedient wird oder ob sie einfach einer von einem*r Programmierer*in vorgenommenen Konfiguration folgt. Algorithmisches Sehen strebt danach, unmenschlich zu sein, wird aber von Künstler*innen mit großer Wirkung eingesetzt. Was bleibt aber von der gewöhnlichen Filmkamera?

Der schwere Körper bleibt zumindest vorläufig so, Gewohnheiten fortbestehend, erinnert er sich an jede Bewegung innerhalb des Hauses, die ausgeführt werden wird. Das Registrieren jenes Körpers, seine wortwörtliche, atavistische Aufnahme, scheint in den Jahren seit der Erschaffung des Films, sich herauskristallisiert zu haben. Fremde Montage, Reihenfolgen von Bildern, bestimmen seine Figur, implementieren eine Ordnung, die zum Bewegungsgesetz wird. Programmierbarkeit existiert nicht nur auf der Seite der digitalen Kamera, sondern in den von historischen Bedingungen ausgeprägten gesellschaftlichen Zuständen, die den Körper unfairerweise beschränken und ihn zu leicht erkennbarem Typus entpuppen. Unter dieser Ansicht hat die Lesbarkeit des Körpers in filmischen Medien wenig mit Zugänglichkeit zu tun, vielmehr ist es ein nachlässiger Gebrauch von Ähnlichkeit3 Xxi-xxii von Brenez, N. (2023). On The Figure In General And The Body In Particular:: Figurative Invention In Cinema. Anthem Press. in der figurativen Ökonomie des Films, der die Aufnahmefähigkeit für andere Formen negiert. Weit entfernt von der Parole des alten Philosophen, der die Notwendigkeit betonte, die Möglichkeiten des Körpers zu verstehen, indem er die Ignoranz derer kritisierte, die behaupteten, dies bereits zu tun4 228-229 von de Spinoza, B. (2015). Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt: Sämtliche Werke, Band 2. Zweisprachige Ausgabe (Vol. 92). Felix Meiner Verlag., schätzt die zeitgenössische Medienökologie den Körper insofern, als er das Träger des kurzfristigen Genusses ist. Film kann jedoch in kleinen Ecken dieser Welt mit einem einfachen, ruhigen Fokus arbeiten und zeigen, dass das Sehen des Lichts mit einer Kamera Bewegung in der Zeit registrieren und Subjektivitäten und Modulationen mit einem einfühlsamen Verständnis dessen, was im Bild und den verschiedenen Körpern darin gesehen wird, erkunden kann. Milena Czernovsky & Lilith Kraxners „Beatrix“ erfreut sich an der Morgensonne, versteht seine Protagonistin in zwei figuralen Bewegungen: die des Selbstbetrachtens und die des Betrachtet-Werdens. Ob ersteres überhaupt ein Schauen ist, bleibt offen; wahr ist, dass Beatrix‘ Verhaltensweisen ihre eigenen bleiben und ihr Timing und ihre Energie ohne das Eindringen des fremden Blicks ihr „Selbst“ jenseits eines psychologischen Verständnisses von Subjektivität öffnen. Ihr Körper spricht, er sagt viele Sachen über nichts.

Kleine Aktionen, nervöse Energie. Der Film von Czernovsky und Kraxner zeichnet seine Figur als Entdeckerin, als unwissende Begleiterin, die die Welt, in der sie lebt, zur gleichen Zeit wie die Zuschauer*innen begreift. Ihre Rhythmen sind nicht vorgegeben, sondern entwickelt. Wenn andere in ihren Raum eindringen, hört ihre Entdeckung auf und sie reagiert. Der Bildausschnitt wird mit ihr nervös. Zeit und Raum werden geschaffen und dann negiert, problematisiert als Dinge, die geteilt werden sollten, vielleicht mit anderen, meist mit Objekten. Schritte sind nur einzelne Klänge, wenn sie allein registriert werden; mit dem Klang anderer werden sie in ein neues Stück integriert, manchmal ohne zu fragen. Das Kino kann verbinden, jedoch auch produktiv trennen, Körper sind keine Individuen, zwei Silhouetten, die einen kleinen Moment in der Nacht teilen, können jenseits der Schwere der Individualität sein dürfen. Giancarlo M. Sandoval ging zur Viennale 2023 und hatte da die Chance, mit Czernovsky und Kraxner über Beatrix und ihr neues Projekt „Bluish“ zu sprechen.

 


 

Nowhen: Wie habt ihr euch kennengelernt?

Milena: Über eine gemeinsame Freundin.

N: Also habt ihr individuelle Projekte gehabt, quasi bevor ihr euch kennengelernt habt?

M: Ja, wir haben auch beide an eigenen Projekten gearbeitet, aber uns dabei immer gegenseitig unterstützt und miteinbezogen.

Lilith: Kurz vor BEATRIX  haben wir beide an einem Commercial Filmset gearbeitet und waren frustriert von der Menge an Geld, die in ein solches Projekt fließt, das  uns inhaltlich nicht berührt, sondern eher ärgert. Wir hatten danach den Motivationsschub  etwas eigenes umzusetzen  und von Protagonist*innen zu erzählen, mit denen wir uns identifizieren können.  Wir haben nicht so weit in die Zukunft gedacht, was dann eventuell daraus werden wird oder ob es ein Publikum dafür gibt, sondern in erster Linie war es ein Vorgehen aus dem Drang des Machens.

M: Wir haben begonnen über Momente und Situationen zu sprechen, die wir gerne in einem Film sehen würden, Momente, die in anderen Filmen oftmals ausgelassen werden. 

N: War die Entscheidung, analog zu drehen, etwas war, das sich von selbst ergab?

L: Ich war in der Kubelka Schule für unabhängigen Film, dort habe ich viel analog gearbeitet und das Medium kennengelernt. Uns war die Arbeitsweise, die dieses Medium mit sich bringt, wichtiger als der Look.. Es hat uns extrem geholfen, eine Begrenzung im Material und dadurch auch in der Anzahl der Takes zu haben.. Ein bis maximal drei waren das in unserem Fall. Eva Sommer, unsere Hauptprotagonistin, kommt eigentlich aus der Performancekunst. Daher war es für sie auch ein wichtiger Teil dieses Schaffensprozesses, zu wissen, dass  die Momente nicht unendlich wiederholbar sind . Es gibt dieses gewisse Adrenalin  am Set und  es ist dieser Moment, den man einfängt und nicht  das Wiederholen und Herstellen eines Momentes. 

M: Dadurch bereiten wir uns ganz anders vor und arbeiten konzentrierter. Weil der Moment an sich dann so kostbar wird. Auch für unser Folgeprojekt bluish haben wir diese  Arbeitsweise beibehalten.

N: Die Arbeit mit den Aktionen im Film ist sehr genau. Bewegungen werden mit Präzision ausgeführt. Die Objekte, die man sieht, sind  auch genau ausgerichtet.  In wenigen Bildern wird eine Szene konstruiert. Wie kam es dazu, den Raum so zu benutzen?

M: Bevor wir zu drehen begonnen haben, haben wir mit Eva Sommer einen Test-Film gedreht,  der kleine Narrationen zu zwei Momenten mit Beatrix zeigt. Dabei hat es sich ergeben, dass wir die Situationen in jeweils 3 Bildern erzählt haben. Das haben wir dann bei der Umsetzung des Langfilms beibehalten. 

L: Vielleicht hat es auch mit der Bolex, mit der wir beim Test gedreht haben, zu tun. Das ist eine mechanische Kamera, die man aufziehen muss und mit der man höchstens 30 Sekunden am Stück filmen kann. 

M: Durch den Testfilm haben wir versucht für uns herauszufinden, wie wir von diesen Alltagsmomenten erzählen wollen und dabei einen Rhythmus kreieren können. 

L: Weil es in BEATRIX viel um Zeit und das Mit-Sich-Sein  geht,  haben wir immer mehrere Bilder zu einer Situation gedreht, um dieses Reinfallen spürbarer zu machen. Das war gar nicht so eine bewusste Entscheidung, aber diese fragmentarische Aufteilung führt dazu, dass es möglich ist, sich immer wieder in so einer Handlung zu verlieren.

N: Habt ihr mit Eva Sommer besprochen, was sie machen würde und wie sie sich verhalten würde? Es gibt so eine gewisse Nervosität zu ihrer Performance. Als ob sie nicht weiß, wohin mit sich. Liegt das an der improvisatorischen Natur der Performanz?

M: Wir haben ja eigentlich ein sehr genaues Drehbuch geschrieben und uns  während des Drehs auch daran gehalten. Fast alles wurde chronologisch gedreht. Eva kannte den Charakter sehr gut und wir haben viel mit ihr gemeinsam erarbeitet, aber sie hat  nie das ganze Drehbuch gelesen. So haben wir von Tag zu Tag mit ihr besprochen, was wir als nächstes drehen, was in Beatrix Alltag passiert.  Wir haben gar nicht so viel darüber geredet, wie sie sich bewegen soll, sondern eher mit ihr über den Charakter gesprochen und über ihre Gefühle. Eva schafft es, diese kleinen Handlungen mit noch viel mehr Informationen zu füllen.

L: Ihr Körper leistet eine Übersetzungsarbeit. Ich kann mich noch erinnern, dass wir im Schreibprozess das Feedback bekommen haben, dass es mit so wenig Sprache schwierig werden wird, die Emotionen, verschiedenen Stadien und inneren Prozesse unseres Charakters spürbar zu machen. Da hatten wir von Anfang an das Vertrauen in Eva, dass ihr Körper und Gesicht diese Übersetzung schaffen können. 

N: Was würdet ihr sagen, dass der Gewinn von der Aufhebung von Schuss Gegenschuss für euch persönlich ist?

L: Es war eine unserer Regeln, dass wir nicht mit Schnitt-Gegenschnitt arbeiten, also Situationen nicht konventionell auflösen.

M: Es war eine Voraussetzung. Es war uns wichtig, dass wir nicht alles auserklären und dem Publikum präsentieren, sondern dass es ganz viel Freiraum im Dazwischen gibt, der individuell gefüllt werden kann.

L: Eigentlich  kann man sich ja viel mehr vorstellen, als man filmen kann. Spannung kann sich in dem, was man nicht sieht oder hört, viel größer aufbauen. Dadurch, dass man die Gegenüber von Beatrix kaum sieht, wird man selbst teilweise zum Gegenüber und es braucht auch gar nicht so viel, um einen Raum zu schaffen – man kann den Zuseher*innen auch mehr zutrauen.

M: Ich finde die Idee auch schön, dass jede Person einen anderen Film gesehen hat, weil so viel Platz ist für die eigenen Gedanken.

N: Linien und Kurven dominieren die inneren Räume, aber auch der Körper tut das..

L: Es war uns wichtig, immer nah am  Körper zu sein.  Weil wir nur mit zwei sehr nahen Objektiven (einem für draußen und einem für drinnen) gearbeitet haben, war schon viel vorgegeben. Das Haus, in dem wir gedreht haben, ist  eigentlich recht eng. Wenn die Kamera  an einem Ende des Raumes stand und Eva am anderen war der Bildausschnitt im Grunde schon vorgegeben. 

M: Außerdem haben wir Eva den genauen Bildausschnitt nie verraten, so konnte sie mehr für sich und weniger für die Kamera performen und sich auch aus dem Bild  raus und wieder hineinbewegen. 

N: Hattet ihr die Wohnung schon, bevor ihr gecastet habt?

M: Wir haben in dem Haus, in dem wir gedreht haben, damals auch gewohnt und es kam zur Entscheidung, dort zu drehen, weil wir ganz lange nicht wussten, ob wir eine Förderung bekommen und auch schon während des  Schreibprozesses haben wir an das Haus gedacht. Das war eine gute Entscheidung, weil wir es so gut kannten und wussten, welche Ecken spannend sind, wann wo das Licht schön ist und natürlich auch anders und mit einem Selbstverständnis mit dem Raum umgegangen sind.

N: Die Objekte im Film, die Sonnenblume, der Zucker, der Fernseher, ihnen einen Platz zu geben, ist eine sehr spezifische Geste..

M: Die Objekte haben für uns eine große Bedeutung auch deshalb, weil es nicht viele andere Komponenten gibt und Beatrix oft mit ihnen alleine ist. So werden sie gewisser Weise auch zu Protagonist*innen. Sie erzählen mit.

L: Lang vor BEATRIX haben wir mit Eva einen Kurzfilm gedreht, wo auch  ein Ventilator im Film vorkommt und sozusagen die zweite Hauptrolle einnimmt.  t. Schon damals war spürbar, dass Eva   in Objekten ein Gegenüber finden kann. Die Art und Weise, wie sie Dinge angreift und behandelt, verleiht ihnen eine gewisse Bedeutung. 

N: Im Film wird eine figurative Logik des Sehens und des Gesehenwerdens entworfen. Beatrix ist eine andere Person, wenn sie alleine ist und auch eine andere Person, wenn Menschen kommen. Sie ist so wiederkehrend, dass sie thematisch ist.Kommt das auch im neuen Film vor?

M: Sehen und Gesehenwerden ist auf jeden Fall eine Thematik, die uns sehr interessiert hat. Beatrix nimmt unterschiedliche Rollen ein und genießt es auch, mit ihnen zu spielen.  Auch in unserem neuen Film beschäftigen wir uns mit Suchbewegungen und den Fragen: Wer bin ich? Wer will ich sein? 

N: Worum geht es denn in dem neuen Film?

M: Um zwei Personen, die wir durch alltägliche Situationen begleiten. Beide sind auf ihre Art und Weise auf der Suche nach etwas. Die eine ist auf der Suche nach Verbindungen und Berührungen, sie möchte was erleben und sich spüren. Die andere ist neu in der Stadt und auf der Suche nach  Orten, an denen sie sich wohlfühlt, nach Zugehörigkeit. 

L: Es geht wieder viel um alltägliche Momente, aber diesmal in einer Stadt. Es gibt Überschneidungen, Orte und Referenzpunkte, die in meinem Kopf gerade während  des Schnittprozesses fast wie eine Landkarte oder eine Stadtkarte aussehen. Sie zeigen Sachen, die sich verbinden, zusammenlaufen und auseinanderlaufen. Wir kollaborieren diesmal mit mehreren Künstler*innen. Es gibt Sequenzen im Film, die von ihnen gestaltet wurden,  wie ein Game, eine Performance oder eine Meditation. Wir  zeigen Geschichten in Geschichten, Welten in Welten. 

N: War es eine bewusste Entscheidung, in die Stadt für den neuen Film zu gehen, nachdem ihr mit Beatrix ein Haus erkundet habt?

L: Ja. Am Anfang haben wir viel über Wege gesprochen. Wege, Bewegung, Orte und Stadt. Im Endeffekt sind die Wege  größtenteils wieder raus und wir haben wieder mit einer sehr ruhigen Kamera gearbeitet. Es gab schon das Bedürfnis, von mehreren Orten zu erzählen, von..

M: ..dieser Überforderung, die man in einer Stadt erlebt, mit all diesen Geschichten, die vorkommen. Es war uns bestimmt auch ein Bedürfnis, nach  unserem ersten Film, der sich klar auf eine Hauptprotagonistin und einen Ort begrenzt,  diesmal ganz aufzumachen.

Notes

  • 1
    Petridis, Ioannis. „Nonlinearity in the Light Processing of the Human Visual System.“ (2017).
  • 2
    Vora, H., Kathiria, P., Agrawal, S., & Patel, U. (2022). Neuromorphic computing: review of architecture, issues, applications and research opportunities. Recent Innovations in Computing: Proceedings of ICRIC 2021, Volume 2, 371-383.
  • 3
    Xxi-xxii von Brenez, N. (2023). On The Figure In General And The Body In Particular:: Figurative Invention In Cinema. Anthem Press.
  • 4
    228-229 von de Spinoza, B. (2015). Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt: Sämtliche Werke, Band 2. Zweisprachige Ausgabe (Vol. 92). Felix Meiner Verlag.