Willkommen bei nowhen

Das Schreiben über Film hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, von den ersten Jahren eines der beliebtesten filmkritischen Magazine, Cahiers du Cinéma, bis zur noch heute geltenden Hegemonie der US amerikanischen Magazine und cinephile Kreise – die Sprache von Letterboxd bleibt überwiegend Englisch – stellen wir eine wilde Vielfalt der Möglichkeiten fest, in denen das Schreiben über Film ausgeübt wird; sprich: Filmkritik, Filmphilosophie, Rezensionen und vieles  mehr. Die offensichtlichste Frage lässt sich schnell äußern: wieso denn doch noch eine neue Webseite? Haben wir nicht schon genug?

 

Die Antwort hat weniger mit einer neoliberalen Bekenntnis zur Macht des Markts und mehr mit dem Fehlen einer Plattform für bezahlte Schreibarbeit, die sich mit Film befasst und einen starken Fokus auf neue FLINTA*-Stimmen legt, die in der Landschaft der Filmkritik immer noch unterrepräsentiert sind. Unser Vorhaben hat eine sowohl ökonomische als auch politische Ebene, die darauf abzielt, der prekären Tätigkeit des Schreibens ökonomische und politische Würde zu geben. Obwohl wir mit dieser Erklärung beginnen -und zurecht, da wir diese Ebenen für höchst wichtig erachten-, legen wir zusätzlich fest, dass sich das Schreiben über Film auch und insbesondere dem Poetischen, dem Theoretischen und dem Philosophischen widmen kann und sollte. Nowhen möchte nicht nur eine Plattform für FLINTA*-Autor*innen sein, sondern auch einen Raum schaffen, in dem mit unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Ansätzen und deren Verschmelzung experimentiert werden kann.

 

Damit diese normative Forderung nicht in elitärem Gerede verpufft, müssen Voraussetzungen programmatisch dargelegt werden, ohne Angst vor Fehlern, die oft Projekte erstickt, bevor sie das Licht der Welt erblicken. Die Mischung aus poetischen, theoretischen und philosophischen Herangehensweisen wird aus einem Wunsch geboren, Filme nicht als Produkte zu betrachten, sondern als Ensembles, deren komplex verbundene Aspekte mit verschiedenen Methoden und Interpretationsmustern analysiert werden sollten. Nowhen hat diesbezüglich wenig bis keinen Anspruch auf Akademisches; es wird nicht angestrebt, ein Journal oder eine indexierte Publikation zu sein. Analytische Werkzeuge werden dann nicht nur für den Schein der Legitimität benutzt, sondern für die veritable Erkundung des filmischen Gegenstands, der Bewegungsbilder, die eine gewisse Poesie eröffnen. Kreatives Schreiben und dessen Kultivierung und Unterstützung ist das, worauf wir in letzter Instanz abzielen.

 

Und es ist diese gegenseitige Unterstützung, die unser kleines, noch dreiköpfiges Team kultivieren und weitergeben will – Nele Sophie Kaiser und Giancarlo M. Sandoval im Verwaltungs- und Redaktionsteam und Clara Thym als Autorin. Nowhen sitzt in Berlin, dennoch werden  unsere Texte nicht nur auf Deutsch,  sondern auch auf Englisch, Französisch und Spanisch veröffentlicht werden, um in der Zugänglichkeit inklusiver zu sein. Unsere Berichterstattung fokussiert sich auf Arthousekino und experimentelles Kino, Kino das oft nicht in Betracht gezogen wird, das kleine, divergente Kino; Filme, die oft nur auf Festivals zu sehen sind und nur spärlich, mit meist kurzen Laufzeiten in die Kinos kommen.

 

nowhen var iii von Tereza Melkova

 

Zeit – wie der Name der Webseite verrät – ist uns besonders wichtig, als abstraktes Konstrukt und subjektiver Erfahrungswert. Nowhen beschreibt eine Position außerhalb der Zeit, aus der andere Temporalitäten betrachtet werden können. Und das nicht nur in Bezug auf Film, sondern auch auf die Produktion der Texte. Diejenigen mit Festival Erfahrung, vor allem Journalist*innen, kennen nur zu gut, dass Texte zwischen vielen Filmen an einem Tag verfasst werden sollten, weswegen es nicht unser Anliegen ist, alle Texte in Rekordzeit zu veröffentlichen, sondern genügend Raum für ein Denken mit dem Film und ein Weiterdenken ausgehend von der filmischen Erfahrung zu ermöglichen. Akademische Sprache und Wissen müssen zunächst angeeignet werden und das benötigt, den individuellen Ausgangspunkten entsprechend – im bourdieuschen Sinne, unterschiedlich viel Zeit. Es ist uns wichtig, dass niemand aufgrund dieser Differenzen entmutigt wird, über Filme zu schreiben. Obwohl sich bestimmte Texte zum Startdatum der Filme in den Kinos veröffentlichen lassen, ist es weder unser Ziel, uns an die Schnelligkeit des Diskurses anzupassen, noch uns an diesem aktiv zu beteiligen.

 

Das “Über Uns” folgt bald und wird noch mehr verraten zu unserer Entstehung, dennoch wollten wir schon mal “hallo!” sagen. Was folgt als Nächstes? Berichterstattung zur Berlinale und zu Cinéma du réel, sowie ALFILM und einzelne Texte zu neuen Filmen von Angela Schanelec, Christian Petzold, Hong Sang-Soo, Moira Davey, Blake Williams und Mary Helena Clark, sowie Interviews und Gespräche mit Filmschaffenden. Jeder Artikel wird, statt einem Filmstill, eine abstrakte  Zeichnung der  Künstlerin Tereza Melkova enthalten, die als künstlerischer Dialog mit der Ästhetik des Films gedacht ist. Es ist unser Wunsch, dass jeder Text seine eigene Personalität erhält. Nach den Wirren der jetzigen Entstehungszeit,  die auch eine Verfeinerung unserer Arbeitsweise beinhaltet, werden wir ein Call for Autor*innen veröffentlichen. Hauptziel unseres Projekts ist auch, Chancen zu schaffen, durch Workshops und gemeinsam stattfindendes Schreiben zur Entwicklung der eigenen auktorialen Stimmen unserer Autor*innen beizutragen.

 

Wir freuen uns auf Euch, unsere zukünftigen Leser*innen,

 

Nele S. Kaiser und Giancarlo M. Sandoval