
bluish
Behutsam wird Staub von einer Zimmerpflanze gewischt, ein Massageball abwesend über das Gesicht gerollt, ein Bilderrahmen mit Dichtungsschaum verziert. Ein meditatives Auftragen von Sonnencreme, Träumen am Beckenrand. Freipinkeln.
Dies sind Momente, die sich der Produktivitätserwartung einer Leistungsgesellschaft entziehen. Auch hier liegt darin die inflationär tradierte, eigentlich verbrauchte Referenz zu Jeanne Dielman, die in Bluish, dem neuen Film von Lilith Kraxner und Milena Czernovsky, dennoch in ihrer Ausführung originell bleibt. Sie wird unbeschwerter und klarer in Richtung Müßiggang gerückt. Die Analogie zu Akerman liegt dabei weniger im formalen Bereich als in der Entscheidung, was ins Bild gesetzt wird und in der Verschiebung der Aufmerksamkeit, die damit einhergeht.
Kraxner und Czernovsky setzen scheinbar Nebensächliches und Ereignisloses ins Bild. Dies führt sie aber nicht zu einer Schanelecschen Entrückung und Durchspannung der wortlosen Momente. Vielmehr gehen die einzelnen Tätigkeiten im Film verloren, wie auch ihre Figuren in der Stadt. Sie sind spielerische Akkumulationen schmunzelnder Details, die ein gewisses Absenzstreben in sich tragen. Wenn beispielsweise ein Wasserglas getrunken wird – die wohl alltäglichste Handlung und Signaturakt der Entleerung bei Schanelec (v.a. in Music), führt dieses Momentum nicht so weit in eine kontemplative Reduktion. Das mechanische Verrichten bleibt im Authentisch-Dokumentarischen verankert.
Akne, Achselhaare, nicht normschöne Körper weiblich gelesener Personen werden aus einer neutralen, aber intimen Nähe gefilmt. Sie stehen nicht im Dienste einer (heteronormativen) Ästhetisierung, sondern dürfen einfach sein. Dies passiert mit einer Unaufgeregtheit und organischen Beiläufigkeit, die außergewöhnlich ist und guttut, während sie durch den Kontrast spüren lässt, dass Repräsentation von (gender)queeren, QPoC und trans* Personen, ob als Komparsen oder Protagonist*innen, in der Regel eben nicht mit einer solchen Selbstverständlichkeit geschieht. Die Politik des Gezeigten wird in Bluish zur queerfeministischen Methode – oder mehr noch, zur Praxis. Dies gilt auch für die Auswahl der Alltagstätigkeiten, für deren Details Kraxner und Czernovsky ein nuanciertes Auge beweisen. Dieser Film ist ein Safe Space, in dem die Protagonist*innen lose, eigenwillige Partikel bleiben, die auch im Zustand des Umgeben-Seins in sich sind. Die Großstadterfahrung ist durch ein Dazwischen von Parzellierungen und Verwebungen geprägt, wobei sich die beiden Stränge der Protagonist*innen (die eine heterosexuell, die*der andere nicht) ganz natürlich, phytomorph verbinden – durch die gleiche Pflanze als narrative, lockere Verknüpfung. Auch darin besteht das Augenzwinkernde des Films, denn er weiß um die Arbitrarität seines kinematografischen Gewebes. Die Pflanze wird dabei zum Gegenüber der Einsamen, wie auch schon Objekte in Beatrix zu Protagonisten wurden.
Bluish zeichnet monotone, blasse Zwischentöne des Alltags, ohne diese auszuformulieren, sodass Miserabilismus weit entfernt liegt. Als Eröffnungssong hätte auch gut Mood Indigo oder Trouble in Mind – aus dem Album Pastel Blues – von Nina Simone gepasst. Manchmal scheint ihre Stimme vernehmbar, denn ihre Melancholie hat immer etwas elementar Kraftvolles. Manchmal übernimmt eine undefinierbare Schwere das Gemüt und schaut aus den Augen tief und sehnsüchtig wieder heraus, wie bei Leonie Bramberger, die die*den wortkarge*n Errol darstellt. Es sind mehr Errols Blicke und die Sätze von Rebeka Warrior in Niemand (Kompromat), die sprechen – Ich bin ein Stein unter einem Stein unter einem Stein. Ich bewege mich so langsam, dass ich unbeweglich ausseh. Warrior, die schon seit den 2000ern in der queeren Subkultur für ihre punkig-politischen, subversiv-lyrischen Songtexte und rohen Radical Techno Beats bekannt ist, hat sich zu einer lesbischen Ikone in der französischen Musikszene entwickelt. Spätestens seitdem sie den Soundtrack für Iris Breys Serie Split und Claire Burgers Langue étrangère geschrieben hat, ist sie endgültig zur klanglichen Handschrift sapphischer Inhalte geworden. In Warriors Lyrics liegt oft eine romantische Entgrenzungsmetaphorik, dunkle Melancholie und fragile Härte, worin queere Körpererfahrungen, Begehren und Traumata resonieren – bezeichnenderweise ist das Album des in Bluish verwendeten Songs mit Traum und Existenz betitelt.
Insbesondere lässt sich das Gezeigte als generationsspezifische Vereinsamung durch Social Media und das Zoom-Zeitalter lesen, die sich als verhärtete Spur der Pandemie durch den dumpfen Alltag zieht und mit Benommenheit belastet. Das macht Bluish zu einem sanften, eigenwilligen Müdigkeits-Porträt, dessen Protagonist*innen sich nach Berührungspunkten sehnen. Ihre Haltlosigkeit, als Zustand zwischen Andocken und Abdriften, zieht sich durch einen Film, der selbst dezidiert keinen diegetisch-hermeneutischen Halt sucht. In diesem Sinne kann das Sich-Treiben-Lassen eine Form der Rebellion sein, vor allem dann, wenn man im Hallenbad rücklings in die falsche Richtung schwimmt. Ähnlich wie bei Constance Debré hat das Schwimmen etwas Widerständiges, indem der von Verlusten geprägte, taube Körper1„J’existe très peu, physiquement. Je suis vague, brouillée, incertaine, je suis à peine./ Souvent je n’y songe pas; j’oublie mon corps, ou sa presque absence, et aux autres qui se tiennent si fort dans leur présence, je serre la main, je parle, je réponds de tout mon corps comme si j’étais comme eux – comme si je croyais moi-même à la fiction de mon existence.” In: Debré, Constance: Un peu là beaucoup ailleurs, Paris/Perpignan 2004, S. 9. durch eine entschiedene Linearität Präsenz gewinnt. Zwar ist der Weg der Protagonist*in in Bluish nicht bestimmt, sie*r geht ihn jedoch stoisch weiter und lässt sich nicht aus der verträumten Bahn lenken.
Ein geschmetterter Song in unbehaglichen blue notes eröffnet lautstark in allen Melancholieregistern den Film, der sich dann durch seine leiseren und blasseren Töne absetzt, durch bluish tones. Das Bläuliche zieht sich in all seinen Schattierungen und Nuancen durch die Einstellungen; als Band, das zusammenhält, was zuweilen auseinanderfällt. Beim chromatischen Grundprinzip von Trois couleurs: Bleu (Krzysztof Kieślowski) dient die Farbe Blau als poetisches Strukturierungsmittel. Dabei tunkt der Blaustich der mise en scène die Protagonist*innen nicht in tiefe Trauer – mit der matteren Farbnuance kommt die größere Leichtigkeit. Es handelt sich um ein gräuliches Blau – wohl im Sinne von Walter Benjamin, der in Traumkitsch konstatiert: Der Traum eröffnet nicht mehr eine blaue Ferne. Er ist grau geworden.2 Zitiert nach: https://www.textlog.de/benjamin/essays/fragmente/traumkitsch. Letzter Stand: 25.01.25, 18 Uhr. Jedoch scheint es noch Menschen zu geben, die, wie bei Novalis, eben doch noch von der blauen Blume – als Fluchtpunkt der Sehnsucht – träumen3Ebd.. Eine Einstellung im Film weist auf das künstlerische Selbstverständnis von Kraxner und Czernovsky hin: Mit Kreppband wird für eine Videoprojektion ein Rechteck auf eine weiße Wand geklebt. Der blaue Rahmen bleibt leer und hat genügend Platz für Projektionen. Die Farbe Blau ist mehr ein kompositorisches Gestaltungselement mit ästhetischem Eigenwert, das eine bewusst nicht explizierte interpretatorische Mitte umrandet.
Kraxner und Czernovsky knüpfen zwar an die Ästhetik von Beatrix an, brechen und lockern dabei jedoch die formale Strenge auf. Sie dezentralisieren und pluralisieren den narrativen Fokus. Sequenzen aus Google Street View, einem Videospiel und einem Zoom Meeting durchschneiden den Film auf direkte Weise, als Sinnräume der Realitätsverschiebung im digitalen Zeitalter. Jene Einschübe werden zu Bildern der Orientierungslosigkeit und Entfremdung. Trotz der formalen Heterogenität, die Zeugnis einer weiter ins Kollaborative geöffneten Filmpraxis ist4Kollaboration mit verschiedenen Künstler*innen, deren Arbeiten in den Film integriert sind: ein Video Game von Rebecca Merlic, ein Film von Katrina Daschner und eine Performance des Kollektivs ZAK. , sind die meist zentriert komponierten Bilder von einer konzentrierten Nonchalance, deren lethargischer Unterton auch etwas Schelmisches hat.
Bluish entwickelt dabei eine sanft zerstreute Fokalisierung, die zugleich immersive Züge trägt. Die intendierte Undeutlichkeit des Dazwischens schafft Freiräume – sowohl für die Zuschauenden, als auch für die Darstellenden. Letzteren verraten Kraxner und Czernovsky die genauen Bildausschnitte beim Dreh nicht5https://nowhen.de/milena-czernovsky-lilith-kraxner/ , damit sich diese in den recht beengten 16 mm Einstellungen (in 4:3 Format) freier bewegen können und nicht in der Kadrierung inhaftiert sind. So können auch sie sich ein bisschen treiben lassen. Ihre Performances nähern sich dem Ausdruck eines Gefühls, das sich verbal höchstens als bluish beschreiben ließe. So bleibt auch das Ende im angedeuteten Stadium. Die Möglichkeit der Verbindung wird versehentlich angestoßen, durch eine heimliche Geste, eine flüchtige Berührung, die auch eine Ameise verursacht haben könnte. Sie kann ein Auftakt zur Kontaktaufnahme sein. Vielleicht aber auch nicht.
Notes
- 1„J’existe très peu, physiquement. Je suis vague, brouillée, incertaine, je suis à peine./ Souvent je n’y songe pas; j’oublie mon corps, ou sa presque absence, et aux autres qui se tiennent si fort dans leur présence, je serre la main, je parle, je réponds de tout mon corps comme si j’étais comme eux – comme si je croyais moi-même à la fiction de mon existence.” In: Debré, Constance: Un peu là beaucoup ailleurs, Paris/Perpignan 2004, S. 9.
- 2Zitiert nach: https://www.textlog.de/benjamin/essays/fragmente/traumkitsch. Letzter Stand: 25.01.25, 18 Uhr.
- 3Ebd.
- 4Kollaboration mit verschiedenen Künstler*innen, deren Arbeiten in den Film integriert sind: ein Video Game von Rebecca Merlic, ein Film von Katrina Daschner und eine Performance des Kollektivs ZAK.
- 5https://nowhen.de/milena-czernovsky-lilith-kraxner/