Dove sei

 

Il y’a toujours eu des tulipes ici

Il est mort à Stalingrad 

 

Jetzt sind Vorhänge, partout

und Tulpen in Deutschland

auf jedem Tisch

(Sie lächelt)

Das hat sich verändert. Aber sie mag keine Blumen, auch nicht im Ruhrgebiet, 

nicht sehr 

 

Sie zeichnet seine nackte Rückenlinie 

Hinab, greift sie ihm 

Non fait pas ça

 

Der Fernseher flimmert 

Il tremble 

(Si j‘ étais une femme)

 

morgen wird sie gegangen sein 

gläserne Präsenz gläserne Worte 

zugeneigte Distanzen

Sie sagt ja und hebt dabei fragend 

Si vous voulez 

den Aussagesatz

 

Oui, les enfants dorment la nuit

aufgerichtete Resonanz ihr Schweigen

 

Ich mag keine Blumen

aber das ist nicht von Bedeutung 

Aimez-vous les fleurs

ist Rastlosigkeit eine Chiffre 

Geschichte, ich höre 

alles zu

 

da ihr mich erstickt mit euch 

 

Elle ne le dit pas

Elle se lève

 

Forderungen nach Präsenz und Bindung

allseits versteckte Subtilitäten 

Elle dit oui et puis elle pars

 

Stringenz ihrer Bewegung

von Kontrollbeamten flankiert 

 

la ville déserte 

 

et si on ne bougeait pas 

 

Sie sind verbunden durch verpasste Anrufe

Das Warten trocknet 

an Leitungen entlang 

die Dauerbesetzten 

 

Dove sei 

fragt sie am Ende, die Stille 

vor dem Ton 

der ganz stumpf einen Punkt 

kein Fragezeichen setzt

 

also habe ich die Hand gegeben 

et tout le reste 

weil das so ist

und ich habe mir nicht gesagt, es wird schön sein 

und ich habe auf ihren Anruf gewartet, der nie kam

 

Ich lag unter Filmen

bin ein Gepäckträger 

schichtlastig 

und laufe, aufrecht und nahtlos 

eine reisende Einstellung lang 

 

Es hallt in diesem Raum

Sie legt die Fenster frei, auf 

parallele Schienen 

geschichtliche Gleise

die nicht zu sehen sind

 

Sie wartet auf ihren Anruf 

Ihr Körper geradewegs 

luftleer 

 

nein, ihr Körper Luft. 

 

Wo bist du

 

le train se sépare 

le train va repartir

 

 

 


 

Das Gedicht „Dove sei“ (ital. für „Wo bist du“) basiert frei auf „Les Rendezvous d’Anna“ (1978) von Chantal Akerman. Im Gedenken an Akerman, anlässlich ihres zehnjährigen Todestages.